Leni-Sophie Wilck ist erst 17, aber sie hat schon eine große Reise hinter sich: von Berlin in die Lausitz und schließlich von der Schulbank in den „Männerberuf“ Müller. Wie die Lausitzerin dazu kam – und wie ihre Reise weiter gehen soll.
Die aufgeweckte Auszubildende ist im zweiten Lehrjahr in der Vetschauer Schälmühle. Sie wird Verfahrenstechnologin in der Mühlen- und Getreidewirtschaft. Ihre Reise begann nicht in der Lausitz, sondern in der lebhaften Atmosphäre Berlins. Als Kind zog sie mit ihrer Familie nach Vetschau und lernte schnell die ruhige Natur der Region schätzen. Nach der Schule hat eine Stellenanzeige der Mühle ihre Neugier geweckt. "Die Vorstellung, wie Haferflocken und andere Getreideprodukte hergestellt werden, hat mich fasziniert“, so Leni-Sophie Wilck. Ihr Interesse am Handwerk entwickelte sich bereits in der Schule, insbesondere durch das Fach WAT - Wirtschaft, Arbeit, Technik. Die vielfältigen Aufgaben im Unterricht, wie beispielsweise die Arbeit mit Holz, legten den Grundstein für ihre klare Entscheidung, in die Welt des Handwerks einzutauchen. Die Nähe zum Ausbildungsort war für sie dann ein entscheidender Faktor für den Ausbildungsstandort.
Nach einem Probetag in der Schälmühle wuchs die Begeisterung für das Handwerk und der Wunsch, die Abläufe hinter den Lebensmitteln zu verstehen. Schließlich kam ein Anruf mit der Zusage für den Ausbildungsplatz. „Danach war ich dann sehr aufgeregt und habe mich schon sehr gefreut“, erinnert sich Leni-Sophie Wilck. Die erste wichtige Etappe der jungen Lausitzerin ist somit erreicht – und wie geht es jetzt weiter? Nach ihrer Ausbildung plant Leni-Sophie Wilck einen weiteren Schritt: Sie zeigt Interesse an der Deutschen Müllerschule in Braunschweig (DMBS). Die DMSB ist die bundesweit einzige praxisnahe Fachschule mit einem Studium in der Fachrichtung Mühlenbau, Getreide- und Futtermitteltechnik. Damit wäre sie eine staatlich geprüfte Technikerin in dieser Fachrichtung – und mit diesem Abschluss sehr begehrt. Und das laut ihrem Ausbilder Robert Kümmel nicht nur in der Lausitz, in Brandenburg oder in Deutschland, sondern sogar weltweit. Ihr langfristiger Wunsch heißt dennoch weder New York noch Rio oder Tokio. Leni-Sophie möchte nach dieser Weiterbildung nach Vetschau zurückzukehren und ihr erweitertes Wissen in ihrem Ausbildungsbetrieb, der Mühle der Familie Kümmel, wieder einbringen. Für die junge Frau ist die Verbindung zur Region Vetschau von großer Bedeutung. Die ruhige Atmosphäre und das positive Teamumfeld spielen eine zentrale Rolle. Im Gegensatz zu ihrem Geburtsort Berlin oder anderen größeren Städten, schätzt sie die Ruhe und Naturverbundenheit der Lausitz. “Wenn ich momentan nach Stuttgart in die Berufsschule muss, dann will ich einfach nur wieder nach Hause”, so die 17-Jährige. Die kurzen Arbeitswege und die natürliche Umgebung der Region sind für sie klare Pluspunkte.
Auszubildende Leni-Sophie Wilck:
“Hier fühle ich mich einfach wohl: In Vetschau, in der Mühle und im Team.”
Begleitet wird die 17-Jährige von ihrem Ausbilder Robert Kümmel. Nachdem offene Ausbildungsstellen in dem Betrieb seiner Familie jahrelang nicht besetzt wurden, nahm er sich der Ausbildungsbetreuung an. Er setzte sich für bessere Bedingungen ein und legt dabei großen Wert auf eine praxisnahe Einführung in die Welt der Müllerei. Während der Ausbildung werden schrittweise die verschiedenen Prozesse in der Mühle vorgestellt, von der Annahme der Rohwaren und der Qualitätskontrolle bis zur Abfüllung der Endprodukte. Jedes Lehrjahr werden zwei neue Auszubildenden aufgenommen. “Unsere Azubis können dann von den Müllern selbst lernen. Das bringt viel mehr als reine Theorie, wenn jemand, der ein paar Jahre oder Jahrzehnte Erfahrung hat, einen Trick verrät”, so Robert Kümmel. Dass mit Leni-Sophie Wilck endlich eine Frau das Müllerei-Handwerk bei ihnen erlernt, freut Robert Kümmel.
Denn mit modernen Anlagen und Automationstechniken hat sich das Bild des Müllerberufs mittlerweile gewandelt. "Früher war es eine Männerdomäne, körperlich anstrengend und von Staub durchzogen", erklärt Robert Kümmel. Die moderne Müllerei hat sich stark weiterentwickelt und das Bild der alten Windmühle mit Mehlsäcken, wie wir es aus Märchen kennen, ist veraltet. “Man kann eigentlich nicht mehr vom gleichen Beruf sprechen, es hat sich so viel verändert”, stellt Robert Kümmel fest. Es ist an der Zeit, veraltete Vorurteile dieses Berufsbildes zu überdenken und das spiegelt sich an der Berufsschule wider. Während 2015 in einer 16-köpfigen Klasse gerade mal zwei Frauen waren, ist die Frauenquote im Jahrgang von Leni-Sophie Wilck bei 50%. Nach ihrer Ausbildung wird sie die erste Müllerin in Vetschau sein - und hoffentlich nicht mehr lange die einzige. Auf Basis ihrer eigenen Erfahrungen ermutigt Leni-Sophie nun auch andere, diese Chance zu nutzen und persönlich in die Welt der Müllerei hineinzuschnuppern, anstatt sich von veralteten Annahmen oder gar Vorurteilen leiten zu lassen. Sie selbst wagte einen Probearbeitstag, bevor sie sich für die Ausbildung entschied, und konnte so hautnah erfahren, was die Tätigkeit wirklich beinhaltet. “Mich hat dieser Tag dann überzeugt”, erzählt die Auszubildende.
Auch Robert Kümmel rät jungen Menschen auf Ausbildungssuche, sich einfach auszuprobieren. Nur durch Internetrecherchen könne man überhaupt nicht erfassen, wie vielfältig ein Berufsfeld ist. So ist es auch in der Müllerei: “Man ist nicht nur ein ganz normaler Müller, man muss so viele anschließende Prozesse betrachten. Das macht den Beruf so unglaublich vielfältig.” Deshalb bietet die Mühle Gebr. Kümmel + Co. GmbH interessierten Personen die Möglichkeit, mit einem Probetag, einer Probewoche oder einem Schülerpraktikum in den Beruf hineinzuschnuppern.
Der Ausbildungsbetrieb hat für die Gebr. Kümmel + Co. GmbH derzeit einen besonderen Stellenwert. Durch das Drei-Schicht-System ist die Mühle mit einem derzeitigen Mitarbeiterstamm von sechs Müllern an der Kapazitätsgrenze. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, die nächste Generation von Müllerinnen und Müllern zu formen, um eine breitere Aufstellung des Teams zu ermöglichen und Engpässe zu überwinden. Leni-Sophie Wilck wird ihre Reise hoffentlich bald abschließen und als Spreewälder Müllerin das männliche Team in Vetschau verstärken.
Die moderne Müllerei eröffnet neue Chancen und Perspektiven für junge Menschen in der Region. Leni-Sophie Wilck ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie Innovation und Tradition Hand in Hand gehen können. Ihr Ehrgeiz für das Müllerhandwerk trägt nicht nur zur Aufrechterhaltung einer langen Handwerkstradition bei, sondern zeigt auch, dass Diversifizierung in männerdominierten Berufsgruppen in der Lausitz möglich und nötig ist. Die „krasse Lausitz“ ist eine Region, wo es möglich ist, solche Klischees zu brechen.
Wer durch Vetschau fährt, wird von den großen Türmen der Schälmühle begrüßt. Die Mühle, die seit 1995 im Besitz der Familie Kümmel ist, entwickelte sich unter der Führung der Familie zu einem bedeutenden Ausbildungsort in der Region. Seit 2001 produziert die Schälmühle Gebr. Kümmel + Co. nicht nur Getreideflocken, sondern auch eine breite Palette von Backmischungen und Spezialmehlen. Der Mühlenbetrieb wird weiterhin von der Familie geführt und beschäftigt derzeit rund 50 Mitarbeitende. Das Unternehmen ist zudem der einzige Ausbildungsstandort in der Lausitz für Verfahrenstechnolog*innen in der Mühlen- und Getreidewirtschaft mit der Fachrichtung Müllerei. Zur Familie gehört zudem auch die Spreewaldmühle in Burg.
Die Geschichte von Leni-Sophie Wilck ist nicht nur ein Beispiel für den Erfolg einer jungen Frau in einem vermeintlichen "Männerberuf", sondern auch ein Zeichen für den Fortschritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit in der Lausitz. Das Bündnis der Kommunalen Gleichstellungsbeauftragten der Lausitz, das sich seit 2020 für mehr Geschlechtergerechtigkeit im Strukturwandel einsetzt, zeigt, dass die Region aktiv daran arbeitet, Frauen in allen Bereichen des Lebens gleichberechtigt zu integrieren. Unterstützt durch das TRAWOS Institut der Hochschule Zittau/Görlitz und die Initiative F wie Kraft – Frauen. Leben. Lausitz, strebt das Bündnis danach, Politik, Verwaltung und Gesellschaft für die Auswirkungen einer Gleichstellungsperspektive zu sensibilisieren. Eine nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung kann nur durch die Einbeziehung aller Geschlechter auf Augenhöhe erreicht werden. Daher ist es entscheidend, dass die Bedürfnisse und Perspektiven von Frauen im Strukturwandel angemessen berücksichtigt werden. Nur so kann die Lausitz ihr volles Potenzial entfalten und eine vielfältige, gerechte Zukunft gestalten.